Lauftext

Quer durch die Worte kommen Reste von Licht. (Franz Kafka)

Großmutter väterlicherseits

 

... ihre kräftig-liebevollen Hände

die mir mit Kernseife

den Rücken wuschen

darüber der Jaulton

ihres Hörgeräts, dessen Batterie

trug sie in ihrem Mieder

gute Butter gab's bei ihr

Käse in feuchten Tüchern

hinter Fliegendraht in der Kammer

und lose Milch kaufte ich ein

daraus entstand die dicke Milch

darüber dann Zucker und Zimt

 

vor Sonn- und Feiertagen schrubbte sie

den Hof und den Steingarten

während die ATH herüberdröhnte

und der St. Laurentius-Dom

dem rheinischen Himmel trotzte

Pannas, Lufttrockene, Vollkorn

lernte ich bei ihr schmecken

wenn der Tag zur Neige ging

ohne Radio und Fernsehen

dafür las sie im "Blumengärtlein"

von Tersteegen, die "Perlenschnur"

oder den Thomas von Kempen

 

sie schimpfte nicht wie ihr Mann

als ich zur Tanzschule ging

oder nach Hamborn 07

sie blieb lieb ihr Lebtag

ein Kind, ein Kind Gottes

und flüsternd betete sie mit

wenn ihr Mann nach Tisch

für des Leibes Notdurft dankte

wie geschäftig sie auch war

ihre Zeit stand still –

gebührte ihr nicht, bei Gott,

der Friedensmodellpreis?

 

Meine weißen Hemden

bügelte sie und das Geld

für die Reichsgotteskasse

eine reaktionäre Biographie

so konsequent, daß der Tod

sie beneidet, fast 80 Jahre

dem Herrn ein Wohlgefallen

die stille Einfalt einer großen

Mutter, als sie erfuhr

ihr erster Urenkel sei geborn

galt ihre erste Frage seiner

Mutter: Kann sie denn schenken?

 

 

Aus: Als wir einmal Äpfel pflücken wollten, 1985

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