Lauftext

Quer durch die Worte kommen Reste von Licht. (Franz Kafka)

Klartext

 

Wer sich fürchtet

nachts vor dem Einbruch

der Dunkelheit

wen die Dunkelziffer

verhinderter Frühgottesdienstbesucher

in Unruhe versetzt,

wen die Entwicklung in Dunkelkammern

eine langjährige Angstzeit voraussehen läßt,

wessen Knie in dunklen Anzügen weich werden,

wen die stete Sorge um das Wohl der Seinen

in dunkle Geschäfte verwickelt,

wem die Verhältnisse in dunklen Erdteilen

Anlaß zu heller Empörung werden –

 

sollte derselbe sich damit aufhalten,

dunkle Gedichte zu lesen,

sie zu enträtseln, zu dechiffrieren,

ihre Symbole zu deuten,

sie gar auswendig zu lernen

und sie in dunklen Wäldern

im Herbst zur Zeit der Entlaubung

aufgeklärt vor sich herzuraunen?

 

Ich aber, wer das auch sei,

rufe euch zu: Fürchtet euch nicht!

Mehr Dunkelheit! sei unsere Parole.

Mehr Stille in unserem Land,

mehr unbekannte Größen!

Wechseln wir weniger Geld,

dafür mehr Worte,

langsam Satz um Satz,

tauschen wir die Lichtgeschwindigkeit

der restdeutschen Supermark

und der Nonstop-Non-Food-Entsorgung

gegen die schleppende,

schwerfällige Geheimniskrämerei,

nutzen wir alle Verdunkelungschancen,

schützen wir uns grundgesetzlich

vor der Strahlkraft und dem Scheinwerferlicht,

schauen wir datenlos zu,

wenn sich die schreiende Mehrheit

hellauf begeistert.

Denn das Leben

entsteht im Verborgenen.

 

 

aus:

Als wir einmal Äpfel pflücken wollten (1985)

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Korrespondenz mit einer Abiturientin (2005):

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