Klartext
Wer sich fürchtet
nachts vor dem Einbruch
der Dunkelheit
wen die Dunkelziffer
verhinderter Frühgottesdienstbesucher
in Unruhe versetzt,
wen die Entwicklung in Dunkelkammern
eine langjährige Angstzeit voraussehen läßt,
wessen Knie in dunklen Anzügen weich werden,
wen die stete Sorge um das Wohl der Seinen
in dunkle Geschäfte verwickelt,
wem die Verhältnisse in dunklen Erdteilen
Anlaß zu heller Empörung werden –
sollte derselbe sich damit aufhalten,
dunkle Gedichte zu lesen,
sie zu enträtseln, zu dechiffrieren,
ihre Symbole zu deuten,
sie gar auswendig zu lernen
und sie in dunklen Wäldern
im Herbst zur Zeit der Entlaubung
aufgeklärt vor sich herzuraunen?
Ich aber, wer das auch sei,
rufe euch zu: Fürchtet euch nicht!
Mehr Dunkelheit! sei unsere Parole.
Mehr Stille in unserem Land,
mehr unbekannte Größen!
Wechseln wir weniger Geld,
dafür mehr Worte,
langsam Satz um Satz,
tauschen wir die Lichtgeschwindigkeit
der restdeutschen Supermark
und der Nonstop-Non-Food-Entsorgung
gegen die schleppende,
schwerfällige Geheimniskrämerei,
nutzen wir alle Verdunkelungschancen,
schützen wir uns grundgesetzlich
vor der Strahlkraft und dem Scheinwerferlicht,
schauen wir datenlos zu,
wenn sich die schreiende Mehrheit
hellauf begeistert.
Denn das Leben
entsteht im Verborgenen.
aus:
Als wir einmal Äpfel pflücken wollten (1985)